15. / 16. September 2022: Fachtagung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
sowie
Verleihung des Josephine-Levy-Rathenau-Preises
Von der Kita bis zum Un-Ruhestand
– Berufliche Orientierung im Lebensverlauf –
Gemeinsame Veranstaltung von
Deutscher Verband für Bildungs- und Berufsberatung e. V. (dvb)
Institut für Ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg (IÖB)
Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
In Theorie und Praxis der beruflichen Orientierung und Beratung haben sich neue Handlungsfelder und -formen entwickelt, die die Orientierung zu Bildung und Beruf als ein lebensbegleitendes Thema aufgreifen. Diese spielt überall dort eine Rolle, wo es um die kontinuierliche und nachhaltige Entwicklung der Einzelnen in der Gesellschaft geht. Die Berufliche Orientierung beginnt bereits implizit in der frühkindlichen Bildung und setzt sich fort in Schule, Ausbildung, Hochschule und allen Teilen der beruflichen und allgemeinen Weiterbildung für alle Bevölkerungsgruppen bis in die Zeit des Ruhestandes.
Zielgruppen der Tagung
Die Tagung richtete sich an Lehr- und Beratungskräfte aus verschiedensten Organisationen und Zusammenhängen (Schulen, Bildungsträger, Hochschulen, Arbeitsagenturen, Jobcenter, Beratungsstellen verschiedener Träger, Betriebe u. a.) sowie Personen aus der Wissenschaft.
Danke für Ihre Teilnahme und die vielen inspirierenden Gespräche!
Wir möchten an dieser Stelle einigen Personen danken, die bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung eine zentrale Rolle eingenommen haben:
- Dr. Tina Fletemeyer (IÖB) für die Koordination der Tagung vor Ort,
- Beatrice Ehmke und Barbara Knickrehm (dvb) für die Betreuung der Referierenden und Teilnehmenden sowie die mediale Vor- und Nachbereitung der Tagung,
- Dr. Judith Moll für die Betreuung der studentischen Kräfte aus der HdBA.
Zudem danken wir den Studierenden des IÖB und der HdBA, die durch ihre tatkräftige Unterstützung die praktische Durchführung der Tagung erst ermöglicht haben. Die Protokolle der einzelnen Veranstaltungen wurden von den Studierenden im Rahmen der Lehrveranstaltung „Die Netzwerkarbeit im Prozess der beruflichen Orientierung und Beratung“ der HdBA angefertigt.
Rainer Thiel
Bundesvorsitzender des Deutschen Verbandes für Bildungs- und Berufsberatung e. V.
Prof. Dr. Rudolf Schröder
Professor mit dem Schwerpunkt Berufliche Orientierung am Institut für Ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg
Prof. Dr. Bernd-Joachim Ertelt
Professor für Wirtschaftspädagogik und Beratungswissenschaften an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit
Dokumentation
Hier finden Sie Vortragsfolien, Manuskripte, Videos und weitere Materialien zu den einzelnen Veranstaltungsteilen.
Alle downloadbaren Materialien sind CC BY-NC-ND 4.0 lizensiert (wenn durch die Autor*innen nicht anders gekennzeichnet).
Donnerstag, 15. September 2022
Keynote
Prof. Dr. Rudolf Schröder
Institut für Ökonomische Bildung an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg (IÖB)
Von der Berufswahl zur Gestaltung der Erwerbsbiographie: Berufliche Orientierung als lebensbegleitendes Thema
Materialien und Dokumentation:
Workshops oder Vorträge
Zeitschiene 1: Workshops
Workshop 1.1
Der TalentKompass NRW: lebenslanger Begleiter bei der beruflichen Orientierung
Susanne Knorr, Life-Work-Design Akademie Jülich
Materialien und Dokumentation:
(Die Materialien von Frau Knorr sind nicht gem. CC BY-NC-ND 4.0 lizensiert!)
Der Workshop zielte darauf ab, den 5-schrittigen Prozess des TalentKompasses (Fähigkeiten erkennen, Interessen einschätzen, Kompass zusammenfügen, Ideen entwickeln, Ziel formulieren und erste Schritte planen) mit seinen 6 Feldern als strukturierte Grundlage für jegliche (nach)berufliche Orientierung in jeder Lebensphase und für jede Zielgruppe erfahrbar und nutzbar zu machen.
Die 6 Kernfragen „Wie bin ich gerne?“, „Was tue ich gerne?“, „Welches Wissen nutze ich gerne?“, „Wie wünsche ich mir mein berufliches Umfeld?“, „Für welche Werte stehe ich?“ und „Welche Themengebiete interessieren mich?“ sind relevant bei jeder (nach)beruflichen Orientierung. Die persönlichen Antworten liefern die Grundlage für mögliche berufliche Tätigkeiten, Ausbildungs- oder Studiengänge und ehrenamtliche Betätigungsfelder.
Nach einer kurzen Einführung in die Systematik des Instruments, das vom Arbeitsministerium des Landes NRW mit finanzieller Unterstützung des Landes NRW und des Europäischen Sozialfonds veröffentlicht und von der Stiftung Warentest als Verfahren zur Kompetenzbilanz besonders empfohlen wurde, konnten die Teilnehmenden in Kleingruppen die Felder anhand ausgewählter Übungen selbst durchlaufen und die Wirkung erleben.
Die Vorstellung der Übungen und Erfahrungen im Plenum gewährleistete den Transfer. Alle Teilnehmenden konnten dadurch das Ineinandergreifen der Felder, den kompletten Ablauf einer Beratung, eines Coachings oder Workshops nach dem Gerüst des TalentKompasses und den Nutzen des Instruments nachvollziehen.
Workshop 1.2
Reflexion im Berufswahlprozess – notwendig und sehr herausfordernd?!
Dr. Claudia Kalisch, Lisa-Marie Pilz, Universität Rostock
Dr. Christof Nägele, Christine Hoffelner, Fachhochschule Nordwestschweiz
Materialien und Dokumentation:
Bei der Berufswahl handelt es sich um einen komplexen, lebensbegleitenden Lern- und Entwicklungsprozess, für dessen Bewältigung reflexive Fähigkeiten von zentraler Bedeutung sind. Diese helfen, unterschiedliche Eindrücke zu verarbeiten, Ziele zu entwickeln und Entscheidungen vorzubereiten. Die Förderung von Selbstreflexionsfähigkeit und der Auf- und Ausbau von Selbstwissen zählen daher zu den wesentlichen Aufgaben von Beruflicher Orientierung. Dennoch gibt es sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz nur wenige BO-Angebote, die hierauf einen besonderen Fokus legen.
In diesem Workshop wurden zwei Projekte vorgestellt, die dieses Desiderat angehen:
(1) Digitale Begleitung im Berufswahlprozess (digibe, www.digibe.ch/) und (2) Selbsterkundung und Förderung individueller Entscheidungen in der schulischen Berufsorientierung mit „Mission ICH“ (www.zlb.uni-rostock.de/themen-projekte/selfie). In beiden Vorhaben wurden BO-Materialien für Schüler*innen der 7. bis 9. Jahrgangsstufe entwickelt, die die Jugendlichen zur Selbstreflexion anregen sollen.
Die Entwickler*innen-Teams setzen sich zudem selbstkritisch mit der Frage auseinander, inwiefern BO- und Selbstreflexionsangebote ein nicht (immer) haltbares Versprechen auf individuelle Selbstbestimmung geben, die Maxime nach kontinuierlicher Selbstoptimierung (vgl. u.a. Eulenbach 2016) forcieren und Ursachen für Misserfolge eher auf individueller statt auf struktureller Ebene suchen.
Der Workshop bot, neben einem Einblick in die Projekte und erläuternden Ausführungen zu der genannten Fragestellung, einen Austausch unter den Teilnehmer*innen: Welche Erfahrungen werden mit strukturellen Hürden (z.B. Benachteiligung bestimmter Zielgruppen) gemacht? Wie lässt sich Empowerment in der Beruflichen Orientierung umsetzen, und welche Grenzen zeigen sich? Inwiefern kann (Selbst-) Reflexion helfen, mit Misserfolgs- und Scheiternserfahrungen umzugehen? Wie können derartige Reflexionsprozesse aussehen?
Literatur:
Forßbohm, D. (2015). Berufswahl als Entscheidung. Zur Entwicklung eines Modells von der Berufswahl. bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, 27, 1–20. Verfügbar unter: http://www.bwpat.de/ausgabe27/forssbohm_bwpat27.pdf [30.03.2019].
Fuchs-Bründinghoff, E. (2010). Selbsterkenntnis als Wegmarke bei der Identitätsfindung. In Ursula Sauer-Schiffer & Tim Brüggemann (Hrsg.), Der Übergang Schule-Beruf. Beratung als pädagogische Intervention (S. 113–130). Münster: Waxmann.
Kalisch, C.; Kley, S. & Prill T. (2020). Selbsterkundung und Förderung individueller Entscheidungen in der Beruflichen Orientierung: Neukonzeption des Potenzialanalyse-Ansatzes. In: Katja Driesel-Lange, Ulrike Weyland & Birgit Ziegler (Hrsg.). „Berufsorientierung in Bewegung“. Themen, Erkenntnisse und Perspektiven. ZBW-Beiheft 30; Stuttgart. S. 155-168.
Mayer, R.; Thompson, C. (2013): Inszenierung und Optimierung des Selbst: Eine Einführung. In: Ralf Mayer; Christiane Thompson; Michael Wimmer (Hrsg.): Inszenierung und Optimierung des Selbst: Zur Analyse gegenwärtiger Selbsttechnologien. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 7-28
Workshop 1.3
Orientierungsprojekte für eine Nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft
Monika Pieper, Klaus Meyer, Energie Impuls OWL e.V.
Materialien und Dokumentation:
Der gemeinnützige Verein Energie Impuls OWL und seine 100 Mitgliedsunternehmen mit besonderem Engagement für Erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft oder Klimaschutz treten tritt seit über 20 Jahren an, (auch) die junge Generation für die Nachhaltigkeits-Transformation zu befähigen.
Deshalb haben wir zum Thema: Nachhaltigkeit und Berufliche Orientierung einen Workshop angeboten: Welche Impulse kann Berufliche Orientierung und Beratung im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele geben? Was macht Bildungs- und Berufsentscheidungen in diesem Sinne tragfähig?
Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit für die Zukunftsgestaltung (im Sinne der SDGs) steht im Mittelpunkt der teils spektakulären Projekte zur Berufsorientierung junger Menschen. Dabei erleben die Schüler*innen zwischen 8. und 13. Klasse die Unternehmen in ihrer direkten Nachbarschaft als „Spielwiese“ bzw. Realisierungswerkstatt ihrer eigenen Zukunftsideen. Nicht das Zuschauen, sondern das gemeinsame, kollegiale Arbeiten der Schüler*innen an einem selbsterdachten Projekt mit Azubis, Fachleuten, Ingenieur*innen, Studierenden im Betrieb erschließt die Perspektiven der Berufswelt. Interessen und Neigungen erhalten eine Konkretisierung in den erlebten Menschen- und Berufsfeldern. Die Projekte sind i.d.R. Gemeinschaftsprojekte von Energie Impuls OWL mit dem VDI OWL, den regionalen Agenturen für Arbeit und engagierten Kooperationsunternehmen.
Im Workshop haben wir unsere Erfahrungen verfügbar gemacht und die Expertise der Teilnehmer*innen für Weiterentwicklungen aufgenommen.
1) Vorstellung der Projekte und Erfahrungen, Projektleitung u. ehem. Teilnehmer*innen
2) Konstruktive Kritik am Projekt durch die Workshopteilnehmer*innen
3) Inhaltlich-pädagogische Verbesserungsoptionen?
4) Durchführbarkeit verbessern / rationalisieren!
5) Welche elementaren Bausteine lassen sich in den eigenen Handlungszusammenhängen der Workshop-TN (Schule, Hochschule, Betrieb, Agentur etc.) verwenden oder weiterentwickeln?
6) Wie lassen sich solche praktischen Projekte noch besser verbinden mit Diversity-Zielen, Zugewanderten, Geflüchteten, Kulturunterschieden, Ruheständler*innen, Maker-Bewegung, Fridays for Future, VDI Zukunftspiloten u.v.m.?
Workshop 1.4
Klarheit und Weitsicht – Vorteile einer Standortbestimmung im Kontext beruflicher Beratung
Angelika Teske-Letzsch, Dipl.-Psychologin, Laufbahnberaterin ZML
Egal wo ich mich gerade auf meiner Reise durch das Leben befinde, ob ich berufliche Entscheidungen treffen will, ob ich auf familiäre Entwicklungen reagieren muss oder ob äußere Ereignisse mein Leben beeinflussen, es ist immer hilfreich zu wissen, „wo“ ich gerade bin.
Was ist aktuell für mich wichtig und im Vordergrund, woraus ziehe ich Energie, und was kostet mich Kraft? Was möchte ich entwickeln und was lieber loslassen? Welche Zukunftsbilder habe ich und was strebe ich an? Angelehnt an den Satz von Archimedes steht der Workshop unter dem Motto: „Gib mir Klarheit über meinen Standort, und ich hebe die Welt aus den Angeln.“
Im Workshop wurde der Nutzen einer Standortbestimmung im Kontext beruflicher Beratung verdeutlicht. Durch das Ausprobieren verschiedener Methoden entwickelten die Teilnehmer*innen exemplarisch ein Bild von ihrer eigenen persönlichen Situation und ihrem aktuellen Standort und lernten dadurch die Aspekte einer Standortbestimmung und deren innere Kohärenz kennen. Die erlernten Methoden können in den Rahmen der eigenen Beratungstätigkeit integriert werden.
1) Inhalte: Input / Vortrag zum Nutzen einer Standortbestimmung im Kontext beruflicher Beratung.
2) Aspekte der Standortbestimmung
3) Methoden der Standortbestimmung
- Situationsanalyse
- Wertearbeit
- Zukunftsbild
Zeitschiene 1: Vortragspanels
Vorträge 1.6: Vor einem Studium
– Interesse und Studienwahl – Eine kritische Analyse
– Oja! – Orientierungsjahr Ausbildung und Studium
1) Interesse und Studienwahl- Eine kritische Analyse
Tillmann Grüneberg, DEEP Potentiale, Esslingen
Materialien und Dokumentation:
In der Berufswahlforschung, sowie in der Beratungspraxis, nimmt das Persönlichkeitstypenmodell von Holland (1997) eine zentrale Stellung ein (vgl. Tarnai 2015). Fälschlicherweise wird dieses RIASEC-Modell oft verkürzt als Interessenmodell bezeichnet. Es inkludiert jedoch auch weitere Aspekte wie ein Begabungs-/Kompetenzselbstkonzept und Werteinstellungen (vgl. Krapp & Üstünsöz-Beurer 2020), sodass z.B. die Differenzierung zwischen Begabung und Interesse schwerfällt (vgl. Rysiew et al. 1999). Zentrale Modellannahmen wie die Konsistenz und Differenziertheit des Profils als Indikatoren u.a. für Beratungsbedarf, sind Gegenstand anhaltender Kritik (vgl. Rolfs 2001). Anhand eines umfangreichen Datensatzes aus dem Studifinder NRW (N= 2234), dem Vorgänger des Check-U Tests der Bundesagentur für Arbeit, welcher sowohl einen RIASEC-Test, wie auch Verfahren zur Erfassung von thematischen Neigungen und Fächerpräferenzen, sowie einen Leistungstest enthält, soll das Konstrukt einer kritischen Prüfung aus theoretischer und praktischer Sicht unterzogen werden. Im Vortrag werden verschiedene Operationalisierungen der Differenziertheit von Profilen verglichen und statistische Zusammenhänge mit Neigungen, Fächerpräferenzen, Begabung und anderen Selbsteinschätzungen zur Persönlichkeit (z. B. Motiven) aufgezeigt. Ergänzt wird die Analyse durch Ergebnisse einer eigenen Onlinebefragung mit Studierenden (N=414), in welcher vor allem die I-Dimension (forschender Typ) kritisch in Bezug auf den angestrebten Beruf untersucht wird. Darüber hinaus werden dort ebenfalls Zusammenhänge zwischen RIASEC und thematischen Interessen betrachtet. Beide Analysen bestätigen zentrale Annahmen des Modells, zeigen jedoch auch Lücken auf, die den praktischen Nutzen, z. B. in der Studienberatung, erheblich beeinflussen. Aus diesem Grund endet der Beitrag mit einem Vorschlag für eine stärker gegenstands- und tätigkeitsbezogene Erfassung von Interessen, welche dem eigentlichen Interessensbegriff näherkommen soll.
2) O ja! – Orientierungsjahr Ausbildung und Studium
Birgitta Kinscher, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
Franziska Heckel, Handwerkskammer Berlin
Materialien und Dokumentation:
Berufliche Orientierung an Hochschulen in einem institutionsübergreifenden Ansatz zu vermitteln, der parallel die berufliche und akademische Ausbildung in den Blick nimmt, ist das Anliegen des „O ja! Orientierungsjahres Ausbildung und Studium “, das im Frühjahr 2020 erstmalig in Berlin gestartet ist. Das Orientierungsjahr ist ein gemeinsames Projekt der Handwerkskammer Berlin und der Hochschule für Technik und Wirtschaft und fokussiert inhaltlich auf Studien- und Ausbildungsoptionen im Bereich Energie, Technik, Digitalisierung und Umwelt. Das gemeinsam entwickelte und umgesetzte Curriculum umfasst fachliche Kompetenzen aus dem MINT-Bereich, übergreifende Schlüsselkompetenzen sowie Module der Berufs- und Studienorientierung (inkl. Betriebspraktika). Integraler Bestandteil ist die persönliche Beratung und das Coaching, denen eine zentrale Rolle für einen gelingenden Orientierungs- und Entscheidungsprozess beigemessen wird. Dabei liegt der Fokus auf der Befähigung der Teilnehmenden, erfahrungsbasierte Entscheidungen zu treffen, die ihren persönlichen Fähigkeiten und Neigungen entsprechen.
O ja! ist Teil des BMBF-geförderten Verbundvorhabens „Verzahnte Orientierungsangebote zur beruflichen und akademischen Ausbildung – VerOnika“, an dem neben Berlin die Hochschule Karlsruhe und die IHK Karlsruhe sowie die Hochschule Darmstadt beteiligt sind und welches von der FernUniversität Hagen wissenschaftlich begleitet wird.
Vorträge 1.7: In der Schule – Anforderungen und Herausforderungen
– Mind the Gap: Anforderungen an eine gelingende BO
– Interventionsstudie – Anerkennungssensible BO
– Warum Berufe nicht gewählt werden
1) Mind the Gap: Anforderungen an eine gelingende Berufsorientierung
Christoph Krause, ABBO -Allianz für berufliche Bildung in Ostbayern/Hochschule der Bundesagentur für Arbeit
Materialien und Dokumentation:
Berufliche Orientierung ist ein hochgradig individueller Prozess, in welchem persönliche Dispositionen auf exogene Anforderungsspezifikationen treffen. Sich zu orientieren, heißt hierbei, selbstgesteuert und explorativ einen Lern- und Entwicklungsprozess zu durchlaufen, in welchem individuelle und gesellschaftliche Handlungsanforderungen durch die Jugendlichen erkannt, reflektiert und bewältigt werden (vgl. Ohlemann 2021; Driesel-Lange 2020). Notwendige für eine gelingendes (weil konstruktives) Lernen ist hier ein ganzes Portfolio an Kompetenzen, die auf diese Gelingensbedingungen abzielen: Selbststeuerung sowie explorative Erfahrungs- und Reflexionsprozesse.
Im Vortrag werden Kriterien für die Gestaltung erfolgreicher Berufsorientierungsmaßnahmen mit dem Fokus auf Dimensionen des Thüringer Berufswahlkompetenzmodells (Driesel-Lange et al. 2010) vorgestellt: Im Fokus steht die Förderung der Motivation und Handlungskompetenz Jugendlicher. Aufgezeigt werden soll, wie bei der Ausgestaltung von Maßnahmen beruflicher Orientierung individuelle Entwicklungs- und Lernprozesse ermöglicht werden können, die dann selbstgesteuert durchlaufen werden, konkrete Erfahrungen ermöglichen und insofern eine subjektive Reflexion fördern. Diskutiert wird der Entwurf eines Kriterienrasters, das einen Ausblick auf zukünftige Anforderungen an gelingende Berufsorientierungsmaßnahmen gibt.
Literatur:
Driesel-Lange, Katja; Hany, Ernst; Kracke, Bärbel, Schindler, Nicola (2010): Berufs- und Studienorientierung. Erfolgreiche zur Berufswahl. Ein Orientierungs- und Handlungsmodell für Thüringer Schulen. Materialien-Nr. 165. Link: https://www.schulportal-thueringen.de/web/guest/media/detail?tspi=2049
Driesel-Lange, Katja; Weyland, Ulrike & Ziegler, Birgit (Hrsg.) (2020): Berufsorientierung in Bewegung. Themen, Erkenntnisse und Perspektiven. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik- Beiheft. Band 30. Franz Steiner Verlag. Stuttgart.
Ohlemann, Svenja (2021): Berufliche Orientierung zwischen Heterogenität und Individualisierung. Beschreibung, Messung und Konsequenzen zur individuellen Förderung in der Schule. Springer VS. Wiesbaden.
2) Interventionsstudie – Anerkennungssensible Berufsorientierung
Sevil Mutlu, Stephanie Oeynhausen, Birgit Ziegler, Janina Beckmann, Dr. Mona Granato, Philip Herzer, Technische Universität Darmstadt, Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik Berufspädagogik und Berufsbildungsforschung
Material und Dokumentation:
Wenngleich viele BO-Maßnahmen für Jugendliche angeboten werden (vgl. Brüggemann & Rahn 2020, Sommer & Rennert 2020), ist die empirische Evidenz zur Wirksamkeit von BO-Angeboten bislang sehr begrenzt. Eine Interventionsstudie, gemeinsam vom BIBB und der TU Darmstadt konzipiert und durchgeführt, setzt hier an. Ausgehend von der Annahme, dass Jugendliche in ihren Entscheidungen maßgeblich davon beeinflusst sind, zu welchen Berufen sie Zustimmung im sozialen Umfeld erwarten, wurde ein Workshop konzipiert (Oeynhausen & Mutlu, im Druck). Jugendliche werden anregt und ermutigt, ihr Bedürfnis nach sozialer Anerkennung in ein reflektiertes Verhältnis zu anderen Bedürfnissen zu setzen. Spielerische Werkzeuge und Methoden laden die Teilnehmenden ein, ihre eigenen Geschlechter- und Prestigestereotypen zu diskutieren und dabei zu reflektieren, wie diese ihre beruflichen Aspirationen beeinflussen. Das „automatische“, weitgehend unbewusste Verhalten in Bezug auf den Ausschluss von Berufen soll unterbrochen und ein eher „reflexiv-kalkulierender“ Modus (Esser 2005) initiiert werden.
Eine zentrale Fragestellung ist, ob sich über den Workshop die Bereitschaft und Art, sich mit der eigenen Berufswahl auseinanderzusetzen, sowie Berufskonzepte und Aspirationen verändern.
Der Workshop wird seit Beginn des Schuljahres 21/22 in einem quasi-experimentellen Design untersucht. In der Treatmentgruppe sind drei (M1-M3) und in der Kontrollgruppe zwei (M1 und M3) Messzeitpunkte für die Schülerbefragung vorgesehen, und es werden Beobachtungen durchgeführt. Im Vortrag sollen die Konzeption des Workshops und erste Ergebnisse präsentiert werden.
Literatur
Brüggemann, T.; Rahn, S. (2020): Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. 2., bearbeitete und erweiterte Auflage (UTB).
Esser, H. (2005): Rationalität und Bindung – das Modell der Frame-Selektion und die Erklärung desnormativen Handelns. Mannheim: Universität Mannheim.
Oeynhausen, S & Mutlu, S. (im Druck): Berufsorientierungsangebote „anerkennungssensibel“ gestalten: Vorstellung eines innovativen Workshopkonzepts. Bonn: BIBB.
Sommer, J.; Rennert, C, (2020): Endbericht der wissenschaftlichen Begleitung zur Interventionsstudie Potenzialanalyse (ISPA).
3) Warum Berufe nicht gewählt werden, junge Frauen seltener Fachinformatikerinnen werden möchten und wie Rollenvorbilder dies verändern könnten
Janina Beckmann, Alba Estela Esteve, Dr. Mona Granato, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
Material und Dokumentation:
Wenngleich in Deutschland eine große Vielfalt an Ausbildungsberufen und Studienberufen existiert, konzentrieren sich die beruflichen Aspirationen junger Menschen auf relativ wenige Berufe (Mann u.a. 2020). Junge Frauen beispielsweise schließen häufiger Berufe aus dem MINT-Bereich von vorneherein aus – junge Männer häufiger Berufe im Pflegebereich. Dies trägt zur Vertiefung des Mismatchs zwischen beruflichen Bildungsangeboten und der Bildungsnachfrage junger Menschen bei, wodurch ihre Übergangswege in qualifizierte Berufsarbeit, aber auch die betriebliche Fachkräftesicherung erschwert werden. Dennoch gingen bislang relativ wenige Studien empirisch der Frage nach, warum das berufliche Aspirationsfeld junger Menschen so eingeschränkt ist. Der Vortrag vollzieht diesen Perspektivwechsel und fragt daher, warum Berufe nicht gewählt werden, und weniger, was Jugendliche motiviert, einen bestimmten Beruf zu ergreifen. Und auch: Warum es so schwer ist, junge Menschen von Alternativen zu überzeugen bzw. welche Bedeutung eine anerkennungssensible Berufsorientierung hat.
Auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung bei Schüler*innen allgemeinbildender Schulen (9. und 10. Klasse), geht der Beitrag der Frage nach, warum Jugendliche bestimmte Berufe ausschließen (Matthes 2019). Der Beitrag stützt sich dabei auf die Berufswahltheorie von Gottfredson (1981, 2005). Demnach lernen Heranwachsende bereits im Kindesalter Berufe nach Geschlechtstypik und Prestigeniveau einzuteilen und subjektiv nicht passende Berufe zumeist unbewusst als Option aus der „Zone akzeptabler Berufswahlalternativen“ auszuschließen – lange bevor sie als Jugendliche Berufe nach persönlichen Tätigkeitsinteressen bewerten. In diesem Ausschlussprozess spielt das Bedürfnis, von anderen sozial anerkannt und akzeptiert zu werden, eine zentrale Rolle (Matthes 2019).
In der empirischen Studie von Schüler*innen erweist sich dies als besonders relevant: Vermuten Jugendliche, in ihrem sozialen Umfeld mit einem bestimmten Beruf nicht gut anzukommen, schließen sie diesen Beruf aus dem Feld möglicher Berufsoptionen aus – auch dann, wenn die Tätigkeiten des Berufes mit ihren eigenen beruflichen Interessen übereinstimmen. Daher könnten sich, den skizzierten theoretischen Überlegungen und empirischen Hinweisen folgend, anerkennungssensible Berufsorientierungsangebote (wie z.B. die „Ausbildungsbotschafter*innen) als unterstützend erweisen, die stärker an der vermuteten sozialen Passung und damit am sozialen Anerkennungsbedürfnis Heranwachsender ansetzen.
Literatur
Athanasiadi, E., T. Schare T. & J.G. Ulrich. 2020. Ausbildungsbotschafterbesuche als Instrument der Berufsorientierung. Wege zum Beruf aufzeigen, Identifikationspotenziale erschließen. BWP 4.
Brüggemann, T. & S. Rahn. 2020: Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Münster, New York (USA): UTB.
Gottfredson L. S. 1981. Circumscription and compromise: A developmental theory of occupational aspirations. Journal of Counseling Psychology Monograph 28 (6): 545-579.
Gottfredson L. S. 2005. Applying Gottfredson’s theory of circumscription and compromise in career guidance and counseling. In S.D. Brown & R.W. Lent (Hrsg.). Career development and counseling. Putting theory and research to work: 71-100. Hoboken, NJ: Wiley.
Granato M. u. a. 2016. Warum nicht „Fachverkäufer/-in im Lebensmittelhandwerk“ anstelle von „Kaufmann/-frau im Einzelhandel?“ Berufsorientierung von Jugendlichen am Beispiel zweier verwandter und dennoch unterschiedlich nachgefragter Berufe. BIBB REPORT 2016/1.
Mann A. u.a. (2020). Dream Jobs? Teenagers‘ Career Aspirations and the Future of Work. OECD.
Matthes S. 2019. Warum werden Berufe nicht gewählt? Die Relevanz von Attraktions- und Aversionsfaktoren in der Berufsfindung. Leverkusen: Barbara Budrich.
Oeynhausen S. & J.G. Ulrich. 2020. Das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung bei der Berufswahl von Jugendlichen. In: T. Brüggemann, S. Rahn (Hrsg.): Berufsorientierung. Ein Lehr‐ und Arbeitsbuch: 97-108. Münster, New York (USA): UTB.
Düggeli A. & M. Neuenschwander 2015. Entscheidungsprozess und Passungswahrnehmung. In: K. Häfeli, M. Neuenschwander, S. Schumann (Hrsg. Berufliche Passagen im Lebenslauf. Berufsbildungs- und Transitionsforschung in der Schweiz. 218-241 Springer VS ISBN 978-3-658-10093-3.
Vorträge 1.8: Betriebliche Kontexte und Netzwerke
– Berufliche Beratung Älterer unter Berücksichtigung des betrieblichen HRM
– Berufliche Weiterentwicklung als Herausforderung für KMU
– Weiterbildungsberatung für Erwachsene – im Netzwerk
1) Berufliche Beratung Älterer unter Berücksichtigung des betrieblichen HRM
Prof. Dr. Michael Scharpf, Prof. Dr. Bernd-Joachim Ertelt, Anke Reuter, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
Materialien und Dokumentation:
Bis heute verbindet man in vielen Ländern mit der Dienstleistung „Berufsberatung“ vor allem die Unterstützung junger Menschen bei der Berufswahl, bei den Übergängen vom Bildungssystem in das Beschäftigungssystem sowie bei der Gestaltung der frühen Berufslaufbahn. Doch in den 1990er Jahren vollzog sich besonders auf europäischer Ebene ein Wandel hin zu einer lebensbegleitenden beruflichen Beratung. Die Erhaltung der Kompetenz von Arbeitskräften und damit die wirtschaftliche Stärke eines Landes sind hierfür ausschlaggebende Gründe. Einen wesentlichen Anstoß für eine lebensbegleitende Berufsberatung auf europäischer Ebene gab das von OECD und EU-Kommission herausgegebene „Career Guidance: A Handbook for Policy Makers“ (2004). Die darin enthaltenen Forderungen müssen nach unserer Auffassung durch das Aufgabenfeld „Beratung im Human Resource Management (HRM)“ ergänzt werden. Dies gilt besonders in kleinen und mittelständischen Betrieben in den Bereichen Personalrekrutierung, Onboarding, Personalentwicklung bzw. Qualifizierungsberatung, Retentions-Management, Outplacement-Beratung und Demografieberatung.
Bemerkenswert ist zudem die eindeutige Aufforderung, eine spezifisch auf die Zielgruppe der Älteren ausgerichtete Berufsberatung zu etablieren (OECD/EU-Kommission 2004, S. 35 f.). In diesem Kontext bezieht die vom European Lifelong Policy Network (ELGPN) erarbeitete Leitlinie für lebensbegleitende Beratung (2015) die „lebensbegleitende Beratung für ältere Menschen“ (Nr. 16) mit ein.
Ferner betont das Positionspapier der Bundesagentur für Arbeit (BA) „Perspektive 2025 – Fachkräfte für Deutschland“ die Bedeutung gezielter Maßnahmen für Ältere zur Deckung des zunehmenden Bedarfs an Fachkräften. Demnach bietet die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung Älterer durch Retention und Erhöhung der Pensionsgrenzen von erfahrenen Fachkräften bis zum Jahr 2030 in etwa ein Potenzial von 285.000 bis 570.000 Fachkräften (BA 2016, S. 9). Hier muss betont werden, dass die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer*innen (55-64 Jahre) in Deutschland in den letzten Jahren stark angestiegen ist und weit über dem europäischen (EU 28) Durchschnitt liegt (vgl. Eurofound 2018, S. 6).
Vor diesem Hintergrund sollen im Rahmen des Vortrags insbesondere folgende Inhalte thematisiert werden (siehe u. a. Ertelt/Scharpf (Hrsg.) 2018, Scharpf/Ertelt 2021):
- Welche arbeitsbezogene(n) Motivation, Bedürfnisse und Erwartungen weisen Ältere auf?
- Wie sehen HR-Verantwortliche und Berufsberater*innen diese Zielgruppe?
- Welche arbeitsmarktbezogenen Maßnahmen und Beratungsangebote existieren für diese Zielgruppe?
- Welche Qualifizierungsanforderungen ergeben sich hieraus für die berufliche Beratung im HRM?
Literatur:
Bundesagentur für Arbeit (BA) (2016). Perspektive 2025 – Fachkräfte für Deutschland“. https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/ct/dam/download/documents/dok_ba013186.pdf
Ertelt, B-J.; Scharpf, M. (Hrsg.) (2018). Berufliche Beratung Älterer. Frankfurt: Peter Lang.
European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (Eurofound) (Hrsg.) (2018). Labour market change – State initiatives supporting the labour market integration of older workers – Not finished at 50: Keeping older workers in work. https://www.eurofound.europa.eu/sites/default/files/wpef18003.pdf
European Lifelong Guidance Policy Network (ELGPN) (2015). Guidelines for Policies and Systems Development for Lifelong Guidance – A Reference for the EU and for the Commission. Tools No. 6. http://www.elgpn.eu/publications/browse-by-languAge/english/elgpn-tools-no-6-guidelines-for-policies-and-systems-development-for-lifelong-guidance/
Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), European Communities (2004). Career Guidance – a Handbook for Policy Makers. http://www.oecd.org/education/innovation-education/34060761.pdf Scharpf, M.; Ertelt, B.-J. (2021). Laufbahnberatung und Management – Synergieeffekte in ausgewählten Praxisfeldern. Neuhofen: fbp.
2) Berufliche Weiterentwicklung und Kompetenzentwicklung im Arbeitsleben: eine Herausforderung für kleine und mittlere Unternehmen und die Weiterbildungsberatung
Ursula Wohlfart, Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung e.V. (nfb)
Materialien und Dokumentation:
Personal- und Kompetenzentwicklung in großen Unternehmen ist gut entfaltet, systematisiert und erfolgreich. Die meisten Beschäftigten arbeiten aber in KMU, und da ist Kompetenzentwicklung des Personals noch oft eine zu entwickelnde Baustelle. Die meisten Betriebe betreiben keine Personalentwicklung, haben wenig Kenntnisse, wie sie ihr Personal weiterentwickeln könnten und warum sie von Angeboten der Weiterbildungsberatung erheblich profitieren könnten.
Fragestellungen:
1) Was braucht es, um betriebliches Lernen für den Betrieb und die Beschäftigten konstruktiv zu gestalten? Was sind dabei Ziele/Aufgaben einer Weiterbildungsberatung?
- Kompetenzanforderungen bezogen auf die Ziele und Strategien des Unternehmens ermitteln
- Qualifizierungsbedarfe für Einzelne oder Gruppen bestimmen und bedarfsgerechte Qualifizierungsstrategien entwickeln
- Passgenaue und arbeitsplatznahe Lernarrangements planen, die Umsetzung begleiten und die Wirksamkeit überprüfen
- Ein systematisches Weiterbildungsmanagement stärken
Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern Kompetenzentwicklung (und auch die Weiterbildungsberatung) immer in die kontinuierliche Organisationsentwicklung des Unternehmens eingebunden werden muss/sollte.
2) Was sind die besonderen Herausforderungen einer WB-Beratung im Betrieb – bisher und auch zukünftig?
- Beratungsnachfrage der KMU stärken – Sensibilisierung und Motivation für die systematische Kompetenzentwicklung des Personals bei KMU stärken
- Kompetenzentwicklung für Beratende bei einer betrieblichen WB-Beratung. Welche zusätzlichen/anderen Kompetenzen braucht es gegenüber einer Individuellen Beratung von Beschäftigen?
- Wer sind eigentlich die geeigneten Beratungsakteure? Unternehmensberatende mit Kompetenz auch im Feld Weiterbildung oder Weiterbildungsberatende mit Zusatzkompetenz in der Unternehmensberatung? Ggf. Weiterbildungsberatende in Kooperation mit Unternehmensberatenden?
3) Weiterbildungsberatung für Erwachsene – von der Individualberatung zur Beratung im Netzwerk
Prof. Dr. Peter C. Weber, Dr. Matthias Zick-Varul, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
Materialien und Dokumentation:
Beratung von Erwachsenen zu Fragen der Weiterbildung und beruflichen Entwicklung ist mehr als Individualberatung. Die NICE Foundation (http://www.nice-network.eu/pub/) hat in ihren Kompetenzstandards für Berater*innen eine system-development-competence postuliert. Eine solche hat für die Beratung mehrere Implikationen, die in diesem Vortrag aufgezeigt und auf praktische Konsequenzen für eine Beratung von Erwachsenen im Kontext der Transformation der Arbeit bezogen wird.
Diese Transformation hat schon heute enorme Auswirkungen auf die Fähigkeiten und Haltungen von Menschen im Berufsleben. In vielen Branchen gibt es direkte und konkrete Anforderungen an digitale Kompetenzen. Viele Menschen sind mit der zunehmenden Substituierbarkeit ihrer Tätigkeiten konfrontiert. Auch wer noch nicht direkt betroffen ist, steht vor Fragen zur weiteren beruflichen Entwicklung und Qualifikation. Diese Fragen sind auch mit Ängsten und Befürchtungen verbunden. Weiterbildungsberatung in diesem Kontext ist vielschichtig und muss inhaltlich und fachlich breit aufgestellt sein.
Ein zentrales Problem der Weiterbildungsberatung und der Förderung von Weiterbildung scheint zu sein, dass Angebote häufig nicht passgenau erfolgen. Nicht selten stehen den individuell differenzierten Bildungsbedarfen standardisierte Qualifizierungsangebote gegenüber. Weiterbildungsberatung muss aus diesem Grund eng verzahnt sein mit den relevanten lokalen und regionalen Akteuren, insbesondere Arbeitgeber*innen, Personalarbeit/HR, Gewerkschaften und Betriebsräten, Bildungsanbietern, Hochschulen und Beratungsstellen. Weiterbildungsberatung ist Beratung im Netzwerk. Trotz positiver Beispiele etwa in früheren Pilotprojekten der Qualifizierungsberatung oder in regionalen Beratungsverbünden gibt es hierzu in Deutschland kein kohärentes Konzept und keine flächendeckenden Angebote. Die Entwicklung solcher Systeme muss darum selbst zum Gegenstand der Beratung werden, und Beratungsanbieter, Beratungsexpert*innen und Beratungspraktiker*innen sollten Fähigkeiten aufbauen, um in diese Richtung Veränderungen anzustoßen und zu begleiten.
Vorträge 1.9: Möglichkeitsräume für alle
– Orientierungsmobilität – neuer Begriff für eine zentrale Aufgabe
– Berufliche Orientierung von formal Geringqualifizierten
– Erfahrungen aus dem Bundesprogramm Bildungsprämie
1) ORIENTIERUNGSMOBILITÄT – neuer Begriff für eine zentrale Aufgabe
Karl-Heinz P. Kohn, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
Materialien und Dokumentation:
Der Beitrag plädiert für einen neuen Begriff in der beruflichen Orientierung, um eine deutliche Zielmarke für die berufliche Orientierungsarbeit setzen zu können.
Regelmäßig sich wiederholende Befunde zeigen, wie selektiv entlang sozialer und kultureller Strukturen die Wahrnehmung beruflicher Zieloptionen bei jugendlichen und erwachsenen Berufswähler*innen verläuft – nicht selten aber auch bei ihren Beratenden. Soziale und kulturelle Herkunft determinieren den schulischen Erfolg, der schulische Erfolg determiniert die Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstwirksamkeitserwartung und das selektive Wissen um berufliche Optionen bestimmen den Ort und die Weite des Ausschnitts, den Berufswähler in den Blick nehmen – und damit auch die Größe des blinden Flecks, in dem sich bewusst oder unwissentlich ausgeschlossene Optionen verstecken.
Ausgehend vom allgemein politisch akzeptierten und rechtlich normierten Ziel, „auf die Überwindung eines geschlechtsspezifisch geprägten Ausbildungs- und Arbeitsmarktes hin[zu]wirken“ (§ 1 Abs. 2 Ziff. 4 SGB III), formuliert der Beitrag einen Auftrag zur genderkontraintuitiven Orientierungsarbeit und skizziert analog auch sozial- und kulturkontraintuitive Aufträge. Diese sind sozialpolitisch mit dem emanzipatorischen Ziel gesetzt, gerade auch tendenziell marginalisierte Personengruppen bei ihrer beruflichen Selbstbestimmung und bei der Wahrnehmung ihrer grundrechtlich garantierten Berufsfreiheit zu unterstützen.
Mit dem Blick auf einen beschleunigten Wandel wirtschaftlicher und beruflicher Strukturen sowie auf die demografische Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung in Deutschland ist ein kontratraditioneller Auftrag für die berufliche Orientierung zu ergänzen.
Nicht zertifizierte und oft selbst nicht wahrgenommene Potenziale sind zu heben, frühe Entscheidungen zur Unterausschöpfung eigener Potenziale sind im Laufe beruflicher Biografien konstruktiv zu hinterfragen.
Die bewusste und systematische Weitung des Horizonts beruflicher Optionen gehört in den Kern beruflicher Orientierungsarbeit. Dies wird als Arbeit für mehr Orientierungsmobilität verstanden und gehört in den Fokus von Selbstreflexion und Erfolgsmessung. Die Aufgabe zum aktiven Einbringen kontraintuitiver Optionen unterstreicht die Unabdingbarkeit personaler Beratung gegenüber den Möglichkeiten zur Selbstinformation.
2) Berufliche Orientierung von formal geringqualifizierten Beschäftigten
Kerstin Kupka, Carolin Killmeyer, Dr. Bettina Thöne-Geyer, OECD/Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V.
Materialien und Dokumentation:
Arbeitsplätze von formal geringqualifizierten Beschäftigten sind vor dem Hintergrund von Globalisierung, Digitalisierung, fortschreitendem technologischen Wandel und Automatisierung zunehmend gefährdet (vgl. OECD 2022a, S. 9). Umso wichtiger sind Zugänge zur beruflichen Orientierung und Beratung für diese Beschäftigtengruppe. Im Vergleich zu höher qualifizierten Beschäftigten nehmen formal gering qualifizierte Personen insgesamt allerdings deutlich weniger an existierenden Angeboten zur beruflichen Orientierung und Beratung teil (OECD 2022a, S. 19). In einer Studie hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Betroffenen in Deutschland zu Wort kommen lassen und gefragt, warum berufliche Beratungsangebote aufgesucht wurden, welche Barrieren es bei Nicht-Teilnahme gab und unter welchen Umständen Beratung als positiv und nützlich erlebt wurde. Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) hat hierfür 50 leitfadengestützte Interviews mit geringqualifizierten Beschäftigten geführt. In dem Vortrag gab Kerstin Kupka (DIE) auf Basis des Ergebnisberichts einen differenzierten Einblick in die subjektiven Beweggründe formal geringqualifizierter Menschen für die Teilnahme bzw. Nicht-Teilnahme an Angeboten zur beruflichen Beratung. Am Anschluss daran wurden Rahmenbedingungen zur Erhöhung der Beteiligungsquote diskutiert (OECD 2022b).
Literatur:
Organization for Economic Co-operation and Development (OECD) (2022a): Getting skills right. Career guidance for low qualified workers in Germany. Paris.
Organization for Economic Co-operation and Development (OECD) (2022b): Listening to low-qualified workers: How career guidance can make a difference for them in a long term. Paris.
3) Erfahrungen aus dem Bundesprogramm Bildungsprämie: Worin sich die (werbliche) Ansprache von Geringverdienenden und Geringqualifizierten unterscheidet
Andrea Hasbach, Simon Marzoll, Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB)
Materialien und Dokumentation:
In der Öffentlichkeitsarbeit für Bildungs- bzw. Berufsberatung und im Kontext lebensbegleitenden Lernens nimmt die Ansprache Geringqualifizierter eine besondere Rolle ein: Einerseits wird für diese Zielgruppe ein großes Wirkungspotenzial gesehen, andererseits bedarf die Ansprache spezieller Ansätze.
Das Bundesprogramm Bildungsprämie zur Weiterbildungsförderung (Laufzeit 2008-2021) war ursprünglich explizit auch auf Geringqualifizierte zugeschnitten. Im gesamten Verlauf waren sie unter den Teilnehmenden, alle geringverdienend, jedoch unterrepräsentiert. Wie könnte diese Zielgruppe besser erreicht werden? Wir untersuchen drei Aspekte im Hinblick auf die (werbliche) Ansprache verschiedener Teilgruppen:
- Weiterbildungsinteresse: Interesse an Weiterbildung als Option für berufliche Veränderung
- Berufliche Orientierung: Gesprächspartner für das Thema Weiterbildung
- Informationsquellen: Informationssuche; Kommunikationswege für die Öffentlichkeitsarbeit; die Rolle von Beratung
Weiterbildungsinteresse und Informationsverhalten lassen Rückschlüsse auf eine adressatengerechte Ansprache unterschiedlicher Teilzielgruppen zu.
Als Datengrundlage dienen die Monitoringdaten des Programms (N>400.000), 3 Teilnehmer- bzw. Zielgruppenbefragungen, Interviews mit Beratungsstellen und Bildungsanbietern sowie Erfahrungen aus der Programmbegleitung. Die Auswertung der Daten zeigt, dass Geringqualifizierte weniger Weiterbildungserfahrung haben als höher Qualifizierte, sich aber auch, in geringerem Umfang, für Weiterbildung interessieren. Die diversen Datenquellen widersprechen sich in Bezug auf die Bedeutung der Arbeitsumgebung für die Ansprache Geringqualifizierter für Weiterbildung, obwohl dessen Bedeutung in der Literatur an mehreren Stellen hervorgehoben wird. Professionelle Beratung von den Arbeitsagenturen oder Bildungsberatungsstellen wird insgesamt als Ansprechpartner weniger oft genannt, ist aber für geringer Qualifizierte von größerer Bedeutung als für höher Qualifizierte.
Postersession
Sei Teil des Wandels – mehr Mädchen ins Handwerk: Wünsche, Bedarfe und Perspektiven von Schüler*innen, Lehrkräften, Eltern und Betrieben
Katharina Drummer, Ariane Baderschneider, Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb)
Das Schulpraktikum als Gelingensfaktor für einen erfolgreichen Start in die Berufsausbildung
Melanie Hochmuth, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
Synchronizität(sprobleme)entwicklungspsychologischer Phasen Jugendlicher mit berufsorientierenden Aktivitäten von Schule und Berufsberatung
Jana Scharf, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
Soziale und emotionale Fähigkeiten für die Berufs- und Laufbahngestaltung – das zentrale Fundament für Berufsbiografische Gestaltungskompetenzen
Prof. Dr. Peter C. Weber, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
Berufliche Orientierung in der Studienvorphase mittels Online-Self-Assessments
Dr. Anna Wollny, Miguel Martin Paker, Universität Potsdam, Zentrum für Qualitätsentwicklung in Lehre und Studium (ZfQ), Bereich Career Service und Universitätskolleg, Online-Self-Assessments (OSA)
Preisverleihung
Josephine-Levy-Rathenau-Preis
Der Deutsche Verband für Bildungs- und Berufsberatung e.V. (dvb) lobt gemeinsam mit seinem langjährigen Publikationspartner wbv Media einen Nachwuchspreis für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung aus. Der Preis soll der Professionalisierung der Beratung dienen, der Beratungswissenschaft und -praxis eine größere Sichtbarkeit verschaffen und den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis vertiefen.
Benannt wird der Preis nach Josephine Levy-Rathenau (1877-1921), einer Begründerin der Berufsberatung, der Sozialarbeit und der Erwachsenenbildung in Deutschland, die sich insbesondere für Frauen eingesetzt hat.
Die diesjährige Preisträgerin Marlene Wicker erhält ihre Auszeichnung für die Masterarbeit „Effekte von Priming auf die berufliche Selbstwirksamkeitserwartung älterer Arbeitsloser“, die sie am Institut für Bildungswissenschaften der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angefertigt hat.
Vortrag der Preisträgerin
Marlene Wicker, Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA)
Abstract
Negative Altersstereotype haben direkte Auswirkung auf Verhalten, Leistung und Motivation und verursachen, dass die für berufliches Selbstvertrauen und beruflichen Erfolg verantwortliche berufliche Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) abnimmt (Lawton 1969, S.182). Dies erschwert den Wiedereinstieg in Arbeit für ältere Arbeitslose zwischen 50- und 65 Jahren deutlich (Lawton 1969, S.179ff; Wahl 2017, S.40ff): Die Verweildauer in Arbeitslosigkeit liegt für diese Gruppe deutlich über dem Bundesdurchschnitt und nur etwa 12% aller neu geschaffenen Stellen werden mit Älteren besetzt (Bellmann 2016; Statistik der BA 2019). Ein Grund hierfür können die hinsichtlich ihrer Gültigkeit bereits wissenschaftlich revidierten, aber weiterhin vorherrschenden negativen Stereotype hinsichtlich des Alterns sein. Die in dieser Arbeit durchgeführte Studie gibt Aufschluss darüber, wie die berufliche SWE und die korrelierende Variable der arbeitsmarktorientierten Zuversicht (AM) von älteren Arbeitslosen im Kontext der Beratungen der Bundesagentur für Arbeit (BA), jenseits der bekannten Beratungsformate, erhöht werden kann. Hierzu wird das Beratungssetting einer Gruppenveranstaltung über positive Altersstereotype mit der Methode des Primings manipuliert, um im Kontrollgruppenverfahren feststellen zu können, ob bereits diese Veränderung ausreichen
könnte, um die berufliche SWE und die AM der älteren Arbeitslosen zu erhöhen. Darüber hinaus werden Effekte des Primings auf unterschiedliche Altersgruppen, bei unterschiedlicher Dauer der Arbeitslosigkeit, bei den Geschlechtern und bei unterschiedlichem Bildungsstand gemessen.
Die Ergebnisse des Experiments zeigen, dass ein über positive Altersstereotype verändertes Beratungssetting dazu beitragen kann, die berufliche SWE und die AM von allen Arbeitslosen, insbesondere von der Gruppe der älteren Arbeitslosen, zu erhöhen. Priming wirkt zu jedem Stadium der Arbeitslosigkeit, wobei Langzeitarbeitslose noch etwas stärker von der Primingintervention profitieren. Außerdem unterstützt Priming Männer bei der Erhöhung ihrer beruflichen SWE und der AM, während bei Frauen die Primingintervention nur auf die AM, nicht aber auf die berufliche SWE zu wirken scheint. Priming wirkt Bildungsstandunabhängig, wobei Akademiker dennoch etwas stärker auf den Prime reagieren, als Nichtakademiker.
Literatur zum Tagungsthema:
BIBB Auswahlbibliografie „Übergänge: Jugendliche an der ersten und zweiten Schwelle“ (Juli 2021)
Fotos: Lars Klemmer / die bildwerft, IÖB sowie dvb
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