Josephine-Levy-Rathenau-Preis
Ein Nachwuchspreis zur Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung
Der Deutsche Verband für Bildungs- und Berufsberatung e.V. lobt gemeinsam mit seinem langjährigen Publikationspartner wbv Media einen Nachwuchspreis für die Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung aus. Der Preis soll der Professionalisierung der Beratung dienen, der Beratungswissenschaft und -praxis eine größere Sichtbarkeit verschaffen und den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis vertiefen.
Gleichzeitig wird so die Möglichkeit geschaffen, praxisrelevante Master-Abschlussarbeiten durch eine Veröffentlichung unter Open Access für einen größeren Kreis von Leser*innen zugänglich zu machen.
Benannt wird der Preis nach Josephine Levy-Rathenau (1877-1921), einer Begründerin der Berufsberatung und der Erwachsenenbildung in Deutschland, die sich insbesondere für Frauen eingesetzt hat. Wer sich näher für die Namensgeberin interessiert, findet eine umfassende Literaturübersicht auf Wikipedia.
Im September 2021 wurde der Preis zum ersten Mal auf der Jahrestagung des dvb an eine Absolventin vergeben.
Foto aus: Max Levy (Hrsg.): Josephine Levy-Rathenau zum Gedächtnis. Berlin 1921. Fotograf unbekannt.
Preisträgerin 2024: Sandra M. Haunstetter, Georg Simon Ohm Hochschule Nürnberg
Laudatio von Dr. Ingo Blaich, Jury-Vorsitzender des Josephine-Levy-Rathenau-Preises:
Zentrales Ziel der preisgekrönten Arbeit, war es, ein „ganzheitliches, sinnzentriertes und wissenschaftlich fundiertes Beratungskonzept zu entwickeln“, durch das „Menschen dabei unterstützt werden [können], individuelle Sinnressourcen aufzudecken und ihr berufliches Sinnerleben durch wertebezogenes Handeln nachhaltig zu erhöhen“ (S. 4). Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, an welchen Stellschrauben angesetzt werden kann, um berufliches Sinnerleben zu entwickeln oder zu steigern und inwieweit Beratung hierbei unterstützend wirken kann.
In einem ersten Schritt erfolgt eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit der Grundlagenliteratur sowie vorliegenden empirischen Studien zum Thema „Sinnerleben“ im beruflichen Kontext. Hier werden durch die Autorin Traditionslinien z.B. von Viktor Frankls Logotherapie und Existenzanalyse aufgegriffen und mit der aktuell sehr einflussreichen Glücks- bzw. Sinnforschung von Tatjana Schnell verknüpft. So wird deutlich, dass Sinnerleben im Beruf kein „nice to have“ ist, sondern sich positiv auf die Arbeitsproduktivität, das Arbeitsklima, Bindung an den Arbeitgeber, Reduzierung gesundheitsbedingter Ausfallzeiten und natürlich allgemeine Lebenszufriedenheit auswirkt. Eine besondere Stärke der Arbeit besteht in der gut strukturierten Zusammenfassung der relevanten Befunde zu den möglichen Quellen von Sinnerleben in der Arbeitswelt und ihre Verknüpfung mit den schon angesprochenen psychologischen Theorien. So wird ein empirisch gut begründetes, allgemeines Handlungsmodell entworfen, welches für die biografische Lebensgestaltung insgesamt und für die berufliche Entwicklung insbesondere fruchtbar gemacht werden kann.
Entsprechend wird im zweiten Teil der Arbeit daran angeknüpft, und ein Konzeptentwurf für Beratung oder Coaching entwickelt. Elegant werden Elemente klientenzentrierter und systemischer Beratung miteinander verwoben, und auf die Identifikation von Sinnerleben, individuellen Werten und Zielen und mögliche Veränderungsschritte beim Ratsuchenden ausgerichtet. Im weiteren Verlauf entfaltet die Arbeit ein Prozessmodell, welches direkt als Handlungsanleitung für BeraterInnen und Coaches genutzt werden kann.
Die preiswürdige Arbeit greift mit der Frage nach dem Sinn in der Erwerbsarbeit ein hochaktuelles Thema auf, welches in den Medien oft als typisch für die junge Generation Z ausgewiesen wird. Dieser verkürzten und nicht selten auch negativ konnotierten Sichtweise hält die Arbeit theoretisch und empirisch gut fundiert die vielfältigen positiven Auswirkungen von sinnerfülltem Handeln und Arbeiten von Menschen entgegen. Als Zielgruppe werden zwar ArbeitnehmerInnen adressiert, die sich bereits im Berufsleben aber aktuell in einer beruflichen Sinnkrise befinden. Indem jedoch das Sinnerleben ins Zentrum gerückt wird, erweisen sich die Ausführungen wie auch die Beratungskonzeption als hochgradig anschlussfähig bspw. in den Bereich der Beruflichen Orientierung von Schülerinnen und Schülern. Denn auch in zeitgenössischen Berufswahltheorien steht die Frage nach der Zufriedenheit, der Verwirklichung individueller Werte und Ziele in der Erwerbsarbeit und damit das (potenzielle) Sinnerleben im Mittelpunkt – als Beispiel sei hier die Life Design Theorie von Mark Savickas in Anschluss an die klassische Theorie von Donald Super genannt. „Sinnerleben“ wird durch die Arbeit als eine zentrale Kategorie für die künftige berufliche Beratung stark gemacht. Hierzu liefert die Arbeit eine sehr gut nachvollziehbare und nützliche Theorie- und Begriffsarbeit sowie einen leicht in die Praxis transferierbaren Konzeptvorschlag für berufliche Beratung/berufliches Coaching. Diese hohe Praxisrelevanz zeichnet die Arbeit in sehr hohem Maße aus und gibt für das Beratungshandeln, durch die Konzentration auf das subjektive Sinnerleben der Ratsuchenden, konkrete Leitlinien vor.
Preisträgerin 2023: Barbara M. Bell, Donau-Universität Krems
Laudatio von Dr. Ingo Blaich, Jury-Vorsitzender des Josephine-Levy-Rathenau-Preises:
Vermutlich werden viele von Ihnen Artikel kennen, die vornehmlich in der Wirtschaftspresse aber auch in manch fachwissenschaftlicher Zeitschrift regelmäßig erscheinen, und in denen die Arbeitsmotivation der Generation Z – also der jetzt auf den Arbeitsmarkt strömenden jungen Erwachsenen und ihre – eher mangelnde – Leistungsbereitschaft bzw. der Unwille, Führungsverantwortung zu übernehmen, ausgeleuchtet und die Konsequenzen beschrieben werden, die sich für Arbeitgeber daraus ergeben. In diesem, manchmal Unheil witternden, manchmal Unmut bekundenden Kreisen über die Motivationslage der Jugend kommt deutlich die Sorge bezüglich der wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit zum Ausdruck angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels– sicher eine der größten Herausforderungen, vor welcher die europäischen Volkswirtschaften gegenwärtig stehen.
Die Masterarbeit, die in diesem Jahr mit dem Josephine-Levy-Rathenau-Preis ausgezeichnet wird, hat mit der Generation Z überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil, mit ihr wird deutlich, dass eine vergleichbare, öffentliche Diskussion über die Arbeits- und Leistungsmotivation und eine spezifische Work-Life-Balance älterer, sich dem Renteneintritt nähernder Arbeitnehmer – zumindest meiner Beobachtung nach – nicht stattfindet. Hier können wir eher hitzige Debatten über eine weitere Anhebung des gesetzlichen Rentenalters bis 70 Jahren oder höher beobachten bzw. die Frage, wie realistisch derartige Vorhaben sind angesichts eines durchschnittlichen realen Renteneintrittsalters von rund 64 Jahren.
Die auszuzeichnende Arbeit rückt die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und den Erhalt ihrer Arbeitsbefähigung und Arbeitsmotivation in den Mittelpunkt und fragt danach, inwiefern Unternehmen sich hier aktiv bemühen, diese Zielgruppe in Beschäftigung zu halten. Ältere Arbeitnehmer werden dabei nicht als Humankapitalressource zum Zweck ihrer Verwertbarkeit im Produktionsprozess aufgefasst, die um jeden Preis aktiviert und ausgeschöpft werden muss. Vielmehr bilden deren spezifische Bedürfnisse und Rahmenbedingungen das Bezugsproblem für eine sehr detaillierte, sprachlich klare und umfangreiche Untersuchung am Beispiel Österreichs, die keinen Vergleich mit einem fachwissenschaftlichen Handbuchartikel scheuen muss.
Interessanterweise – und hierin kommt bereits die hohe Praxisrelevanz der Arbeit zum Ausdruck – werden nicht Lebenslagen und Arbeitsmotivation älterer Arbeitnehmer einer Analyse unterzogen – gleichwohl dies natürlich auch relevant und interessant ist, wie die Autorin am Ende selbst hervorhebt – sondern das betriebliche Personalmanagement als Teil der Organisationsentwicklung, der Instrumentenkasten der Personalpsychologie zur innerbetrieblichen Personalentwicklung und des Wissensmanagements sowie Stereotype und Vorurteile, die sich vielfach mit älteren Arbeitnehmern verbinden.
Dabei werden mit dem Verständnis von Unternehmen als ‚lernende Organisationen‘ und einer berufs- und lebenszyklusorientierten Personalpolitik theoretische Ansätze aufgegriffen, die zwar nicht völlig neu sind, in diesem Feld jedoch bisher nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit gefunden haben. Denn sie erlauben es, Personalentwicklung und Unternehmensentwicklung dynamisch in Verknüpfung mit dem technologischen und gesellschaftlichen Wandel zu denken.
Die Arbeit besticht durch eine klar gegliederte und kritisch reflektierte Übersicht zum Phänomen Fachkräftemangel, den älteren Arbeitnehmern und den vielfältigen Maßnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten betrieblicher Personalpolitik. Zusätzlich angereichert wird diese Perspektive durch den Brückenschlag zur außerbetrieblichen Berufs- und Karriereberatung. Deren spezifische Bedeutung wird darin gesehen, dass sie ältere Arbeitnehmer in beruflichen Veränderungsprozessen begleitet und sie dadurch zu einer aktiven Gestaltung der eigenen Erwerbsbiografie auch in deren letzten Phase befähigt – etwas, was das Personalmanagement im Betrieb nur in Ansätzen leisten kann.
Durch die sehr fundierte und nahtlose Verflechtung der hier nur kurz angerissenen Themenkomplexe legt die Autorin eine umfassende und fundierte Analyse vor, die die disziplinären Grenzen überschreitet und – insbesondere aus Sicht betrieblicher Personalpolitik – das Verständnis der Herausforderungen erweitert, der sie bei der Bindung erfahrener Mitarbeiter gegenüberstehen.
Was die Arbeit nun besonders heraushebt, ist die äußerst gelungene Verknüpfung dieser theoretischen Bearbeitung mit einer empirischen Fallstudie. Die qualitative Befragung von Unternehmen in Vorarlberg bringt die forschungsmethodische Kompetenz der Preisträgerin sehr gut zum Ausdruck und ist in der Lage, durchaus überraschende Ergebnisse zu produzieren – nämlich, dass die befragten Unternehmer bisher ältere Arbeitnehmer nicht als spezifische Zielgruppe im Blick haben. Überraschend zumindest für mich als nicht ausgewiesenen Experten weder für diese Gruppe noch für das Personalmanagement in Vorarlberg; überraschend allerdings auch vor dem Hintergrund der im ersten Teil der Arbeit argumentativ so gut entfalteten Dringlichkeit dieses Themas für Arbeitgeber. Zwar versuchen alle Unternehmen flexible auf individuelle Bedarfe ihrer Beschäftigten einzugehen, eine spezifische Ansprache, die z.B. auch die besondere Würdigung bisheriger Leistungen enthält, fehlt allerdings weitestgehend. Insofern stellen die Eckpunkte einer generationsspezifischen Personalarbeit, wie sie die Verfasserin im Fazit skizziert, interessante Anregungen dar, die sowohl in der betrieblichen Praxis als auch in weiteren Forschungsarbeiten aufgegriffen werden können.
Die Jury hat der innovative Zugang zum vielbeforschten Thema Fachkräftemangel, die fundierte, sprachlich elegante Darstellung der Bezugsthematiken inklusive ihrer kritischen Würdigung sowie deren Rückbindung an die empirische Fallstudie überzeugt, die sich zusätzlich als hoch praxisrelevant erweist und für die Bildungs- und Berufsberatung – wie auch für das Personalmanagement in Unternehmen – gut begründete, neue Perspektiven der Zusammenarbeit aufzeigt. Ohne in der Arbeit allzu viel Worte über die älteren Arbeitnehmer selbst zu verlieren, argumentiert die Verfasserin – eher implizit, aber unprätentiös und klar – in deren Sinne für beschäftigungsfördernde, wertschätzende und sinnstiftende Arbeitsbedingungen auch in der letzten Phase des Erwerbslebens. Wir freuen uns sehr, diese Arbeit auszeichnen zu können. Der Josephine Levy-Rathenau-Preis geht in diesem Jahr nach Österreich an Frau Barbara Bell für ihre Masterarbeit mit dem Titel Ältere Fachkräfte länger im Unternehmen halten.
Preisträgerin 2022: Marlene Wicker, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Aus der Laudatio von Dr. Ingo Blaich, Jury-Vorsitzender des Josephine-Levy-Rathenau-Preises:
Jeder von Ihnen weiß vielleicht, wie es ist, wenn Ratsuchende oder Freunde an Überzeugungen oder Einstellungen festhalten, die sich eher als handlungshemmend erweisen. Auch Kinder sind häufiger mal davon überzeugt, dass sie etwas nicht können oder nicht mögen, ohne dies versucht bzw. probiert zu haben. Auch in der Beruflichen Orientierung und Beratung erleben wir die hartnäckige Wirkung z. B. von Geschlechterstereotypen, welche das berufliche Aspirationsfeld einengen.
Wie schön wäre es doch, wenn es einen Weg gebe, solche Glaubenssätze oder Überzeugungen ohne langes Einreden quasi auf Knopfdruck ändern zu können – und am besten noch so, dass es der oder die Betroffene nicht merkt. Bevor es hier zu Missverständnissen kommt: in der mit dem Preis bedachten Arbeit wird eine solche Wundertechnik auch nicht beschrieben. Aber sie hat ein Verfahren zum Gegenstand, welches zumindest annäherungsweise so funktioniert und damit das Handlungsrepertoire für Bildungs- und Berufsberater:innen erheblich erweitert.
Die Arbeit mit dem Titel: Effekte von Priming auf die berufliche Selbstwirksamkeitserwartung älterer Arbeitsloser (Universität Heidelberg) widmet sich einer besonderen Zielgruppe, die überdurchschnittlich häufig von längerer Arbeitslosigkeit betroffen ist und dabei auch häufig viele negative Erfahrungen im Such- und Bewerbungsprozess macht. Dies zusammengenommen wirkt sich negativ auf die berufliche Selbstwirksamkeitserwartung und Zuversicht aus, wieder in Beschäftigung zurückzukehren. Somit reduzieren diese Sichtweisen, die Betroffene auf sich selbst und zum Teil auch auf ihre Chancen am Arbeitsmarkt haben, die Wahrscheinlichkeit, wieder eine Beschäftigung aufzunehmen.
Genau an diesem Punkt setzt die Arbeit an. Sie stellt sich die Frage, ob die indirekte Vermittlung positiver Altersstereotype in einem Beratungssetting „…dazu beitragen kann, die berufliche Selbstwirksamkeitserwartung älterer Arbeitnehmer zu erhöhen“ (S.9); und ob dieser Effekt von weiteren Variablen wie z.B. von der Dauer der Arbeitslosigkeit, dem Geschlecht oder dem Bildungsniveau der Arbeitslosen abhängig ist.
Die Annahme, dass sich dieser positive Effekt einstellen könnte, beruht auf dem psychologischen Konzept des Priming. Priming nutzt die Tatsache aus, dass Menschen Reize auf unbewusster Ebene wahrnehmen und darauf mit der Aktivierung bestimmter Gedächtnisinhalte, Stereotype und Emotionen reagieren, was sich dann in ihrem Handeln auswirkt – und wie gesagt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Priming ist dann die Methode, diese Vorstellungsbilder gezielt zu aktivieren, um bestimmte Verhaltensänderungen zu bewirken. Als Reiz können einzelne Wörter, Bilder, Geräusche, Menschen o.ä. gelten. Die Produktwerbung funktioniert vielfach nach diesem Prinzip.
Um dies für die Beratung älterer Arbeitsloser zu überprüfen entwickelte die Verfasserin ein komplexes experimentelles Design, welches im Rahmen von Gruppenberatungen an der Bundesagentur für Arbeit umgesetzt wurde. Sie kann so aufzeigen, dass sich negative Stereotype sehr gut durch unbewusst wahrgenommene Stimuli beeinflussen lassen, mit positiven Auswirkungen auf die beruflichen Selbstwirksamkeitserwartungen und damit auch auf die Wahrscheinlichkeit, als älterer oder Langzeitarbeitsloser wieder in Beschäftigung zurückzukehren.
Die Arbeit belegt die Wirksamkeit einer Interventionsform, welche vor allem die emotionalen Aspekte der Arbeitssuche positiv beeinflussen kann und sie ist in ihrer Wirkung nicht auf ältere Arbeitslose beschränkt, sondern kann leicht auf andere Zielgruppen angepasst werden. Die hohe Praxisrelevanz der Arbeit kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie selbst als Anleitung für die Durchführung dieser Interventionsmethode verwendet werden kann.
Die Jury hat Innovativität des Themas und der Fragestellung sowie die wissenschaftlich-methodisch anspruchsvolle Umsetzung beeindruckt. Ältere Arbeitslose drohen, gesellschaftlich aus dem Blick zu geraten, dem angesichts des Fachkräftemangels in vielen Branchen aber auch, um der Wertschätzung langjähriger Berufsbiografien willen, entgegenzutreten ist. Die Arbeit tritt vehement dafür ein, diese Personengruppe mit ihren Kompetenzen positiv wahrzunehmen und negativen Stereotypen entgegenzuarbeiten. Sie belegt eindringlich, dass auch ältere Personen oder Langzeitarbeitslose noch lern- und entwicklungsfähig sind. Ihnen eröffnet sich mit dieser Methode eine neue Interventionsform im Beratungssetting. Diese Methode kann zudem auch für Beraterinnen und Berater Anlass und Gelegenheit zur Reflexion über Stereotype und unbewussten Einstellungen gegenüber Gruppen von Ratsuchenden sein. Die Arbeit schafft es in den Augen der Jury auf vorbildliche Weise eine hoch relevante Themenstellung wissenschaftlich anspruchsvoll umzusetzen und dies mit einer leichten Übertragbarkeit in die Beratungspraxis zu verknüpfen.
Der Josephine Levy-Rathenau-Preis geht 2022 an Frau Marlene Wicker für ihre Masterarbeit Effekte von Priming auf die berufliche Selbstwirksamkeitserwartung älterer Arbeitsloser. Wir freuen uns sehr, diese Arbeit auszeichnen zu können.
Preisträgerin 2021: Marie Dietrich, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Aus der Laudatio von Dr. Ingo Blaich, Jury-Vorsitzender des Josephine-Levy-Rathenau-Preises:
Thema der in diesem Jahr ausgezeichnete Arbeit ist die berufliche Orientierung im Hochschulstudium vor dem Übergang in die Erwerbsarbeit. Die Passung der Arbeit zum Thema der diesjährigen Tagung „Berufliche Orientierung oder Career Guidance?“ ist dabei ein glücklicher und willkommener Zufall. Für die Beurteilung der eingereichten Arbeiten spielte dies allerdings keine Rolle. Die Jury hat für die Bewertung ein Punktesystem entwickelt, mit dem die theoretische Fundierung, die Methodik, der Praxisbezug, die Innovativität sowie die Publikationsfähigkeit der einzelnen Arbeiten eingeschätzt wurden.
Die preiswürdige Arbeit mit dem Titel „Studierende im Übergang von Studium in den Beruf begleiten. Das Potenzial von Design Thinking und konstruktivistischer Erwachsenenbildung als Beratungskonzept am Beispiel ‚Life & Vision‘“ adressiert den Übergang vom Studium in den Beruf, genauer die Ausbildung beruflicher Ideen und Zielvorstellungen, was sich, so die aus der Forschung gut belegte Prämisse der Autorin, nicht aus der Vermittlung von Fachwissen und Fachkompetenzen allein ergibt. Eine systematische Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und das Formulieren beruflicher wie privater Ziele ist üblicherweise kein Gegenstand der Studiencurricula. Um hier Unterstützung leisten zu können, haben sich an Hochschulen und Universitäten Beratungsangebote z. B. in Form des Career Service etabliert.
In diesen Kontext ist der Gegenstand der Masterarbeit einzuordnen; ein an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz konzipierter und mehrfach angebotener Workshop mit dem Namen „Life & Vision“, an dessen Entwicklung und Durchführung die Preisträgerin mitgewirkt hat. In ihrer Masterarbeit erläutert sie die theoretische Fundierung des Workshops in der konstruktivistischen Erwachsenenbildung und der Design-Thinking-Methode. Dies fügt sich gut in aktuelle, der Veränderlichkeit von Berufsverläufen Rechnung tragende Theorien der beruflichen Entwicklung – wie Career Construction/Life Designing – ein.
Unter Rückgriff auf Evaluationsergebnisse und eine qualitative Nachbefragung der Workshopteilnehmer:innen liefert die Arbeit im zweiten Teil eine empirisch gesättigte Einschätzung der Effektivität des Workshopformats. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der nachhaltigen Wirkung der Workshopteilnahme auf die „zukünftige berufliche Lebensgestaltung und Bewältigung des Übergangsprozesses vom Studium in den Beruf“.
In den Augen der Jury besticht dieser Teil durch eine gute methodologische Einbettung, gründliche Ausarbeitung der qualitativen Befragung und Auswertung des erhobenen Datenmaterials sowie die kritische Reflexion über die Leistungsfähigkeit aber auch die Grenzen des untersuchten Formats.
Die Arbeit schließt mit sehr ausführlichen und leicht aufzugreifenden Überlegungen, wie dieses Konzept auch für andere berufliche bzw. biografische Übergänge – insbesondere für die berufliche Orientierung von Schülerinnen und Schüler – fruchtbar gemacht werden kann. Da die Anfertigung der Arbeit bis in den Beginn der Corona-Pandemie fiel, enthält sie auch wertvolle Überlegungen zur Entwicklung einer Blended Learning-Variante des Workshops, um ihn als digitale Veranstaltung durchführen zu können.
Die Arbeit unterstreicht die Relevanz von Unterstützungsstrukturen für die berufliche Orientierung an den Hochschulen und weist mit den umfangreichen, abschließenden Erläuterungen zum Transfer des Konzepts auf andere Zielgruppen einen hohen Praxisbezug und starke Relevanz für professionelle Beraterinnen und Berater auf. Damit empfiehlt sie sich auch nachdrücklich für die Publikation in der Reihe dvb-Skript.
Wir freuen uns, diese Arbeit mit dem Josephine Levy-Rathenau-Preis auszeichnen zu können!
Call for Papers 2025
Der Call for Papers geht an deutschsprachige Institutionen, die Studienangebote mit relevanten fachlichen Anteilen umfassen. Einreichungsschluss für Abschlussarbeiten aus 2024 ist der 31.03.2025.
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